Theologische Dimension
Aus medizinischer Betrachtungsweise wäre Heil mit Gesundheit gleichzusetzen. In gängiger Definition ist ein gesunder Mensch arbeitsfähig, liebesfähig, leidensfähig, genussfähig. Wird nun die religiöse Dimension einbezogen, so handelt es sich dabei um den Zustand, der dem Menschen von seinem Schöpfer aus zugedacht ist. Krankheit könnte damit niemals Gottes Wille oder seine Strafe sein. Sie ist Zeichen der Hinfälligkeit und Endlichkeit dieser Welt ... und das tragen zu können (Leidensfähigkeit), bleibt Teil der Gesundheit. Hieran wird deutlich, dass das Heil über körperliche Funktionalität hinausreicht und den ganzen Menschen meint.
Die interne Gott-Mensch-Beziehung möchte ich als Heiligen Bezirk kennzeichnen. Was darin geschieht, ereignet sich als Geschenk. Heilung bedeutet für mich die Berührung der göttlichen mit der menschlichen Wirklichkeit. Das muss nicht an einem sakralen Ort, sondern kann auch auf einem Weg geschehen. So wird das Heil durch ihn zugänglich.
Wert
Die therapeutische Wirkung des Wanderns durch das positive Empfinden eigener Leistungsfähigkeit, wurde bereits herausgestellt. Am Stärkeerleben kann die eigene Persönlichkeit auf die konkrete Umweltbewältigung vorbereitet werden. Indem auf einem langen Weg vor allem die Grenzen der Kraft vor Augen geführt werden, geschieht eine Kraftrelativierung. Beim Übergang in Gottes Gegenwart verlieren Stärke und Schwäche ihre Maßgabe. Dort zählt allein die Würde, ein Geschöpf Gottes zu sein. Diese Anerkennung vollzieht sich als ein Befreiungsakt: "Wer weiß, was sich tut, wenn die Energie, die auf der Suche nach dem Ich gebunden war, jetzt auf der Suche nach dem sich uns zuwendenden Gott gerichtet ist? Es kann eine Befreiung werden, die eigene Identität nicht herstellen zu müssen." (Bizer, 1995, S.29) Der Mensch weiß sich als Geschöpf Gottes mit seinen Schwächen angenommen, er ahnt aber auch etwas von der Gesundheit und Stärke, die möglich wäre. Mit dem Befreiungsakt Gottes wird der Mensch herausgefordert und im wahrsten Sinne heraus gefordert aus Ängsten, Ich-Verneinung, Minderwertigkeitsgefühlen.
Sinn
"Sinnan" aus dem Althochdeutschen bedeutet "reisen, streben, gehen" und gibt damit dem Begriff "Sinn" aus unserem Sprachgebrauch den Gehalt von "auf dem Weg sein".
Reise und Sinnsuche gehören untrennbar zusammen.
Der Mensch der Gegenwart befindet sich wesensmäßig auf der Suche. Zuerst einmal legt das Wort "Sinn" (unterwegs sein) nahe, diesen in der Suche selbst zu finden. Die Suche lässt in der ihr eigenen Bewegung Horizonte entstehen und erweitern. So kann sich Wirklichkeit erschließen und zwar eine, welche den betreffenden Menschen angeht. Im Wandern wird diesseitige Wirklichkeit leiblich erfahrbar. Indem der Mensch sie mit seinen Sinnen durchzieht, erhält er einen Sinn in ihr.
Eine andere Richtung ist die nach innen gewandte, welche sich z.B. im Wortgebrauch von "Besinnung" niederschlägt.
Es gab Momente beim Wandern, in denen ich so etwas, wie eine Rückbindung zum Grund des Lebens verspürte. Dabei musste ich nichts investieren, nichts konstruieren, nur empfangen - und wenn es in Form eines Milchkaffees war, den mir eine alte Witwe kochte, während ich meine Füße ausruhte. Manchmal dachte ich lächelnd, dass die eigentlichen Heiligen am Wegrand zu finden waren.
Bizer, Christoph: „Kirchgänge im Unterricht und anderswo. Zur Gestaltwerdung von Religion“. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 1995
Haab, Barbara: „Weg und Wandlung – Zur Spiritualität heutiger Jakobuspilger und -pilgerinnen“. Praktische Theologie im Dialog Bd.15. Freiburg Schweiz: Universitätsverlag 1998
Holm, Nils G.: „Einführung in die Religionspsychologie“. München und Basel: Ernst-Reinhardt-Verlag 1990