Wie der Ökumenische Pilgerweg entstand
Wie ist die Idee des Ökumenischen Pilgerweges entstanden?
Die Ursprünge der Idee liegen in einem Wanderjahr, das ich vor meinem Studium unternommen habe. Damals wollte ich nicht nur auf eigenen Füßen stehen, sondern auch auf eigenen Füßen gehen. Ich suchte nach lebendigen Erfahrungen, vor allem damit mein Glaube an Gott persönlich und echt wird. So packte ich meinen Rucksack und verließ mein Elternhaus im Erzgebirge.
Wo haben Sie bei Ihrer Wanderung übernachtet?
Anfangs habe ich im Zelt geschlafen. Als ich das aber wegen der Witterung nicht mehr konnte, habe ich mir angewöhnt, in den Orten nach Unterkunft zu fragen. Meist kam ich in Kirchgemeindehäusern unter. Interessant war dabei die Erkenntnis, dass man eigentlich in jeder Stadt eine Handvoll Menschen finden kann, welche Gastfreundschaft ganz natürlich lebt. Eine weitere Überraschung war die herrliche Natur in Deutschland. Wenn man zu Fuß unterwegs ist, erlebt man das ganz intensiv. Ich bin mit 10 Zielen losgelaufen und mit 100 zurückgekehrt.
Wie führte das schließlich zu dem Gedanken eines Pilgerweges?
Nachdem ich mein Studium der Religionspädagogik begonnen hatte, sann ich oft darüber nach, wie diese existentiellen Erfahrungen einer Langstreckenwanderung und die „Entwicklungshilfen“ zum Erwachsenwerden für andere nachvollziehbar werden könnten. Im zweiten Jahr meines Studiums bin ich während einer Spanienreise sozusagen zufällig auf den Jakobsweg gestoßen. Auf einer alten Europakarte habe ich die Via Regia als einen Teil des mittelalterlichen Pilgernetzes entdeckt. Damit war das „Spielfeld“ gefunden, auf welchem junge Menschen Selbst- und Gotteserfahrung sammeln können.
Wie haben Sie die Idee in die Tat umgesetzt?
Noch während des Studiums habe ich vor allem Feldforschung betrieben, Hintergründe recherchiert, den Weg in der Landschaft gesucht. Meine Diplomarbeit habe ich dann zum Thema des Pilgerns in der Gegenwart geschrieben. Es gab irgendwann kein zurück mehr und es war klar, dass die Idee jetzt Realität werden müsse. So habe ich vor allem nach einer Möglichkeit gesucht, ein Jahr für die Umsetzung zu arbeiten. Durch viele wunderbare Fügungen willigte schließlich die Robert-Bosch-Stiftung ein, mir ein Freiwilligenjahr zu finanzieren. Als Träger übernahm das Evangelische Landesjugendpfarramt Sachsen die Verantwortung für das Projektjahr.
Was taten Sie in dem Projektjahr als erstes?
Zu Beginn brach erst einmal die Jahrhundertflut im Sommer 2002 über uns herein und ich koordinierte eine Hilfsaktion mit. Die Flut band natürlich die Aufmerksamkeit der Kommunen und nicht zuletzt auch alle Fördergelder, sowie Spenden. Um das Projekt zu finanzieren, nahm ich deshalb an vielen Wettbewerbsausschreibungen teil und konnte später mit diesen Preisgeldern auch einiges in Angriff nehmen.
Die vorrangige Aufgabe aber war, den Wegverlauf mit den Städten und Gemeinden abzustimmen und dessen Ausschilderung genehmigen zu lassen. Im Mai wurde der Ökumenische Pilgerweg bereits ausgeschildert, immer mit so genannten „Wegbereitern“, also Ehrenamtlichen vor Ort, die auch künftig die Schilder kontrollieren wollten. Eine weitere Aufgabe war die Schaffung der Herbergen. Entlang der gesamten Strecke sollten christliche Stätten der Gastfreundschaft entstehen. Viele Kontakte dafür knüpfte ich vor allem bei eigenen Wanderungen entlang des Weges. Andere boten sich von selbst an und so sind jetzt insgesamt siebzig Herbergen bereit, Pilger für eine Nacht gegen eine Spende aufzunehmen.
Sie haben das gesamte Projekt nahezu allein auf die Beine gestellt. Gab es nicht auch einmal einen Punkt, an dem Sie alles hinwerfen wollten?
Eigentlich habe ich immer gemerkt, dass ich das ganze Projekt nicht aus meiner eigenen, sondern aus einer anderen Kraft heraus schaffe. Silvester 2002 war das am deutlichsten für mich. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch drei Monate, um den Pilgerführer – also ein Begleithandbuch – fertig zu stellen. Dazu mussten alle Wegabschnitte festgelegt und genehmigt sein, detaillierte Karten gemalt, alle Herbergen gefunden, Informationstexte geschrieben, Photos zusammengetragen sein. Für drei Tage war ich wie gelähmt, konnte weder essen noch schlafen, geschweige denn arbeiten! Ich betete Psalmen und irgendwann war es wie eine Antwort in mir: „Du wirst es schaffen!“ und „Du musst nicht mehr tun, als Du kannst.“ Das war keine billige Selbstermutigung, sondern eine göttliche Zusage.
Nun besteht der Pilgerweg schon einige Jahre. Hat er sich anders entwickelt, als Sie ursprünglich gedacht haben?
Der Weg erfreut sich wachsendem Zuspruch und ist zu einem Begegnungsraum geworden, der in diesem Sinne mehr in die Tiefe, als in die Länge reicht. Mich lassen die Erzählungen der Herbergseltern immer wieder staunen, wie stark und echt die Begegnungen sind. Es geschieht viel Heilsames auf beiden Seiten. Das ist auch ein Geschenk für mich.
Auch hätte ich nicht gedacht, dass der Weg zur inneren Einheit Deutschlands beiträgt. Viele wirklich interessierte westdeutsche Pilger gehen den Weg mit großer Neugier und erleben ein Land jenseits von Schwarz-Weiß-Malerei und jenseits bunter Hochglanzphotographie. Indem man sich gegenseitig seine Geschichte erzählt, wächst unser formal schnell geeintes Land auch emotional langsam zusammen.
Sie sind für Ihr Engagement mit dem Deutschen Studienpreis, dem Erich-Glowatzky-Preis und nicht zuletzt mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden. Was haben Sie dabei empfunden?
Vor allem habe ich Dank empfunden, dafür dass die Idee auf fruchtbare Erde gefallen ist. Dieser Boden war bereitet, ich habe lediglich ausgesät. Das Wachsen steht nun schon wieder nicht mehr in meiner Macht, ich kann lediglich pflegen. Also möchte ich die Ehre am liebsten weitergeben und den Blick von meiner Person weglenken.
Danken möchte ich auch allen, die sich in wachsender Zahl mit in das Projekt eingebracht haben, ob im Gebet, mit Trost und Rat, durch finanzielle Unterstützung oder kreative Arbeit, beim Schilderherstellen und Anbringen, für alle wissenschaftlichen Texte, für Bilder, Gestaltung und die herrlichen Karten im Pilgerführer, für die Schaffung der Homepage, natürlich allen Herbergseltern und allen Vereinsmitgliedern, die den Ökumenischen Pilgerweg durch viel Hintergrundsarbeit erhalten.